Das ewige Rumgechille der letzten Wochen hat vergangene Woche ein taffes Ende gefunden. Nachdem sie gut begonnen hatten (war im Elefantenpark und hab meinen Arm als Rüssel ausgegeben, sodass sie ihn greifen und ihren warmen Atem dran parken konnten; außerdem kamen die neue deutsche Volunteers und wir hatten viel Spaß beim kennenlernen), wurde Mitte der Woche die Hausmutter vom Jungshaus krank. Großherzig (wie gewohnt ;) ) bin ich natürlich eingesprungen und hab bis heute morgen ihren Job übernommen - at least I tried to. Man kann sich das nicht vorstellen und für mich ist es jetzt auch schon wieder ganz weit weg, aber diese 4 Tage fühlen sich an, als hätten sie schon wieder meine komplette Persönlichkeit beeinflusst. Ich hab über den Daumen gepeilt 30 tausend Millionen Dinge gelernt und Erfahrungen gemacht und - und das ist das, was mich zufrieden stimmt - mein Herz meldet sich endlich zu Wort (wurde ja auch mal Zeit..), lässt mich wieder tiefer fühlen und die Welt anders begreifen.
Das Jungshaus (Mercy-House) ist ein Haus im Township, in dem sieben Jungs im Alter von 6 bis 15 Jahren leben. Sieben Jungs aus verschiedenen Familien, schwierigen Vergangenheiten, kaputten Familien, teilweise missbraucht, HIV-infiziert, post-kriminell, verstört, aber auf jeden Fall verhaltensauffällig. Aber überdies sicher auch "ganz normale" Kinder. Das Haus liegt im Township (Kurland), dessen Bewohner zu 99% Coloureds sind, mit den bereits erwähnten Armuts-, Alkohol- und Kriminalitätsproblemen. Ich stelle fest: Vor ein paar Wochen hatte ich noch ein mulmiges Gefühl, nachts mit dem Auto alleine da durch zu fahren (da waren Gedanken wie "Jetzt bin ich wohl der einzige Weiße im ganzen Township. Gleich stoppt mich jemand und nimmt mich hoch.") - nun wohnte, aß und schlief ich da mitten drin. Das Haus hat kein warmes Wasser, kein Badezimmer, keine Heizung (hier ist Frühling und manchmal kalt!), keine Spiegel, dafür Kakerlaken, ein kaputtes Fenster, zerbeulte Kochtöpfe und einen Gasherd. Insgesamt ein erbärmlicher baulicher Zustand. Vor dem Haus riecht es nach Urin (da die Bewohner sich lieber auf die Türschwelle stellen und Wasser lassen, als 10 Schritte zum Plumpsklo zu gehen - zumindest die 6- und 7-jährigen). Zähne putzen kann man im Gartenwaschbecken neben dem Klo. Für die sieben Kids und mich gibt es insgesamt sieben Betten, fünf Stühle, einen Tisch, vier große Löffel und drei Gabeln. Essen tun wir wochenlang abgelaufene Lebensmittel, die Woolworths freundlicherweise an uns abtritt (mein Papa hat früher dazu immer gesagt: "Das issochnoch gut!"). Die Kids hatten Ferien und ich musste ihnen die Mahlzeiten zubereiten, ihre Streits schlichten, möglichst tagsüber sinnvolle Beschäftigungen überlegen, sie zu Bett bringen, ihre Medizin geben, für sie kochen, war also verantwortlich für ihr Leben und Wohlergehen von morgens um 7 bis abends um 11 (ihre Wachzeiten) sowie nachts (kleine Kinder rennen manchmal schlafwandelnd gegen die Wand, nasenblutender Weise, können nicht schlafen und wollen jeden Tag um 7 aufstehen. Oder schnarchen, wollen nicht zu Bett gehen und streiten sich darum, wer mit wem in einem Bett schlafen muss (es gibt ja eins zu wenig..)). Als Gewürze zum Kochen stand mir folgende unglaubliche Auswahl zur Verfügung: Salz, Zucker und Hühnergewürz. Insgesamt fühlten sich Tage an wie eine Mischung aus Aupair mit speziellem Klientel, Verhaltenstherapeut und Campen. Und das Sahnehäubchen: Zugelassene Sprachen sind Englisch und Afrikaans - und die Kids sprechen untereinander nur afrikaans. Streit schlichten auf englisch - halloo? Ich mit meinem Bröckeles-"I soat it woas frie"-englisch
(insider für Michel, Josef und Daniel).Es war auf der einen Seite einfach nur anstrengend. Du stehst in der Küche, liest die Zubereitungshinweise auf der Braune-Sauce-Packung, hörst wie im Zimmer nebenan gerade einer der kleinen Jungs anfängt zu heulen und den Verursacher zurückzuschlagen, rennst hin und schlichtest, stellst fest, dass jeder der Jungs zwei Freunde und eine Freundin zu Gast hat (zusammenrechnen bitte... das gibt die Anzahl einer Schulklasse und die Geräuschkulisse eines Kindergartens, in dem der Weihnachtsmann mit Süßigkeiten auftaucht). Zurück in der Küche: Tisch decken, während dir der Reis überkocht, Kakerlaken aus dem Wischlappen schütteln, Pläne für eine sinnvolle Abendgestaltung schmieden und bevor du bis drei zählen kannst, wieder im Wohnzimmer zum schlichten und trösten vorbeischauen. Vielleicht die fremden Kids mal raus jagen und drinnen Tränen abwischen. Und noch viel mehr, hat sich einfach hart angefühlt. Aber - DE'IGNIS-Küchenzivildienstzeit sei dank - die Küche war nicht mein größtes Problem. Dieses war eher der ständige Lärm, keine Rückzugsmöglichkeit, die Verantwortung und die neuen Probleme. Die Nerven wurden immer gespannter und selbst nachts hatte ich keine Ruhe. Habe manchmal lange wach gelegen, um die neuen Erfahrungen zu verarbeiten. Einmal meinte der kleine Abongile, um 2:30 morgens schlafwandeln und gegen die Wand rennen zu müssen. Nasenbluten und Verwirrtheit waren die Folge. Er wusste nichtmal mehr meinen Namen. Selbst morgens war er ein wenig verstört, hat apathisch im Zimmer gestanden und geweint. Offensichtlich wurde er die ganze Nacht von Albträumen geplagt. Da hilft nur Geduld, viele Umarmungen und warme Worte in sein Ohr. Manchmal habe ich mir ein Kind geschnappt und für es gebetet, das waren Situationen, in denen mein Herz neu geprägt wurde. Einmal hab ich nachmittags, als alle Kinder draußen am spielen (oder streiten) waren, im Wohnzimmer gesessen und musste einfach kurz Tränen lassen, weil ich in ein paar Sekunden das ganze Ausmaß ihrer Lebenssituation gefühlt hab. Abongile meinte nur "Did you cry?" und ich dachte nur "Ja, aber keine Worte der Welt könnten dir erklären, warum.."
Auf der anderen Seite gab es einfach herzzerreißend schöne und bewegende Momente. Wenn der kleine Bongani nach dem Essen kommt und mit seinem Afrikaans-Englisch: "Thank you Sandru" sagt und dabei das "r" rollt, sodass es dir vor Rührung den Magen umdreht. Oder wenn die kleinen Jungs morgens zu dir ins Bett gekrabbelt kommen, um noch ein wenig Wärme abzuholen. Oder wenn eine Umarmung das schönste Geschenk für einen Sechsjährigen ist, der wahrscheinlich irgendwann an Aids sterben wird. Oder wenn der 14-jährige Jaco, der sonst karg mit Worten ist, nach dem Essen sagt "Man, that was so good, I would ask for a second."
["a second" = Nachschlag]. Kinder haben einfach so tolle Seiten, sind so zum knuddeln und so ein mega Geschenk, wenn man denn welche um sich hat.
Alles in allem habe ich viel im Umgang mit Kindern und ihren Konflikten gelernt, weiß nun, wie man mit geschickten Worten selbst meinen misslungenen Haferbrei schmackhaft macht, weiß die jahrelange Arbeit meiner Eltern viel mehr zu schätzen
(ich hab endlich verstanden, warum mein Papa früher meinte: "Hoffentlich fängt bald die Schule wieder an, damit hier mal wieder einen halben Tag Ruhe einkehrt.") und hab wieder mit einer anderen Lebensituation umzugehen gelernt. Alles in allem gibt es aber noch viel Luft nach oben und wenn Gott mir nicht die Kraft gegeben hätte, hätte ich nach dem zweiten Tag einen Burnout bekommen. Praise the Lord :-)
Ich hab jetzt endlich das Gefühl, dass die Zeit hier wirklich Sinn gemacht hat, davor war es eher ein wenig zu chillig oder "normal". Jetzt kann ich gehen und wirklich einen Batzen Charakterschule im Koffer mitnehmen. Werde aber wohl noch diese Woche hierbleiben (damit verlängert sich mein Dasein hier zum zweiten Mal).
Der Abschied fällt mir schon sau schwer, ich merk das, aber wenn mein Herz reisen will, soll man es besser nicht aufhalten... hinter dem Horizont gibt's immer noch ein anderes Land, in dem neue Abenteuer auf mich warten.
aowe,
sandro